Tuesday, November 20, 2012

Warum wird mir alles zuviel?

Mütter im 21. Jahrhundert 

Waschmaschine, Kinderkrippe, eigenes Gehalt: Eigentlich haben es die Mütter von heute leichter als noch vor ein paar Jahrzehnten. Trotzdem reiben sich viele Frauen zwischen Job, Kind und Hausarbeit so auf, dass sie in die Klinik müssen. Eine Suche nach den Gründen. 

Es könnte doch so perfekt sein: Frisch gewaschene und gebügelte Kinder in bester Betreuung, ein verständnisvoller emanzipierter Mann und eine Frau, die in ihrem Beruf aufgeht. Dank Quotendebatte sogar mit Aussicht auf die Führungsebene. Und dann dies: Anpassungsstörungen, depressive Störungen, überall Störungen. Diagnose Störung für die sogenannte moderne Mutter.
 Mütter sind heute öfter erschöpft und krank, als sie es noch vor zehn Jahren waren. Um mehr als 30 Prozent hat sich die Zahl der Frauen erhöht, die Symptome zeigen, die man heutzutage unter Burn-out oder akuten Belastungsreaktionen verbucht. "Das Rollenbild der Frau hat sich stark verändert, aber die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht", sagt Anne Schilling, die einen Reparaturbetrieb für diese neue Spezies Frau leitet, ihre Firma trägt einen schön altmodischen Namen: Müttergenesungswerk.

Vor gut 60 Jahren begann man im Müttergenesungswerk (MGW) damit, Frauen an Leib und Seele zu kurieren, heutzutage scheinen die Therapien dringender denn je zu sein - nur hat man für sie inzwischen den Begriff "ganzheitlich" gefunden. Frau Schilling bezeichnet ihr Werk denn auch als "Spiegel der Gesellschaft". Denn es lässt sich verblüffend einfach anhand der Kur-Indikationen verfolgen, wie sich über die Jahrzehnte das Krankheitsbild Hand in Hand mit dem Rollenbild und der Beanspruchung der Frau verändert hat.


Lücke zwischen gesellschaftlicher Wahrnehmung und Realität

Die der grenzenlosen Frauensolidarität unverdächtige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder hat unlängst eine Untersuchung vorgestellt, die die neuen Belastungen von Müttern deutlich herausstellt. Demnach kümmern sich sogar berufstätige Frauen, die in Vollzeit arbeiten, weitgehend alleine um Kinder und Wohnung. Der Monitor Familienleben, den das Allensbach Institut zum fünften Mal für das Bundesministerium erstellt hat, zeigt eine große Lücke zwischen gesellschaftlicher Wahrnehmung und Realität. So sind zwar 69 Prozent der Deutschen der Meinung, dass Väter sich mehr als früher an der Kindeserziehung beteiligen - mit dem Zusatz, dass sie das eigentlich auch gut finden. Demgegenüber steht jedoch das Umfrageergebnis bei den Müttern: 70 Prozent antworteten, dass sie die Arbeit zu Hause überwiegend alleine schultern.

Beim Müttergenesungswerk überrascht diese Analyse nicht. "Zu uns kommen jetzt ganz stark auch Frauen mit höherem Haushaltseinkommen. Die Belastungen, die Mütter heute im Alltag erleben, sind überall in der Gesellschaft angekommen", sagt Schilling. Am häufigsten fühlten sich Frauen durch ständigen Zeitdruck gestresst. Die Zahl der Mütter, die mangelnde Anerkennung in der Leistungsgesellschaft als belastend empfinden, habe sich in den MGW-Statistiken verdoppelt. 2,1 Millionen Mütter seien kurbedürftig, so die Berechnungen. "Der kontinuierliche Anstieg von Alleinerziehenden, das ständige Austarieren zwischen Familie und Beruf und ein enormer Perfektionsanspruch fügen sich zu einem kritischen Konglomerat zusammen", so Schilling - und unternimmt eine kleine Tour de Force durch die Jahrzehnte ihres Kurbetriebs.

 Liest man Berichte darüber, wie es deutschen Müttern kurz nach Kriegsende, in den Gründungsjahren des in Berlin ansässigen Müttergenesungswerkes ging, mag es einem das Herz zerreißen. Zustandsbeschreibungen aus einem Mütterheim, in urtümlicher Schreibmaschinenschrift verfasst, über Frau G. S. aus Bad Höhenstadt: "Flüchtling aus Breslau, 2 Kinder, 7 und 11 Jahre, Mann schwer kriegsversehrt (hirnverletzt), wohnt in einem kleinen Zimmer, nebenbei noch Papierwarenverkauf, um durchzukommen, 1 Kind hat Tbc. Frau S. ist herzleidend und ganz erschöpft. Sie hat keinen Mut mehr zum Leben." Oder über Frau Hanna K., 36 Jahre alt: "Flüchtling, Mann Autoschlosser, vermisst, Näherin, 2 Kinder (7 und 8 Jahre). Frau K. war 3 Monate im Krankenhaus wegen Nervenzusammenbruchs. Durch starkes Zittern der Hände war sie nicht mehr arbeitsfähig."

Quelle: http://www.sueddeutsche.de/leben/muetter-im-jahrhundert-warum-wird-mir-alles-zuviel-1.1527913

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